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Gegenüber den anderen „P-Fächern“ hat der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie das Alleinstellungsmerkmal der generationsübergreifenden Behandlungskompetenz, wie aus der Weiterbildungsordnung hervorgeht. 

FALLBEISPIEL

Die familientherapeutische Arbeit soll in einem Fallbeispiel verdeutlicht werden. Zunächst werden die beteiligten Personen vorgestellt, in der Reihenfolge des Erscheinens in der Praxis:

1

28.08.2011

Enkel L. 14 Jahre

Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme in der Schule, träumt sich oft weg.

Kein Kontakt zum Vater trotz gemeinsamen Sorgerecht.

Eltern geschieden seit 2. Lebensjahr.

2

14.09.2011

Tochter G. 41 Jahre, gelernte Gärtnerin

Zwei Kinder von zwei Vätern.

Ein Abort, eine selbstinduzierte Abtreibung, viel auch aktive Gewalterfahrungen mit Männern.

Leidet an Kopfschmerzen, Schlafstörungen, tägliche Wirbelsäulen-Beschwerden.

Depression, Erschöpfung seit sie den todkranken Vater zehn Monate gepflegt hat – der durch Sepsis erblindet und pflegebedürftig ist –

Liebling des Vaters, sollte ein Junge sein, ist die zweite von fünf Schwestern.

3

22.11.11

Großvater H. 63 Jahre, gelernter Schweißer, Gastwirt

Seit sieben Jahren erblindet, nach Sepsis, Koma, Langzeitbeatmung. Seit 30 Jahren Diabetes II, erhebliches Übergewicht, 140 kg auf 90 kg reduziert.

Offener Rücken und offene Füße.

Leidet unter Schlafstörung, kein Tag / Nacht- Rhythmus.

Augenarzt findet keine Erklärung für die Erblindung. Nach epileptischem Anfall leichte Besserung der Sehfähigkeit; der Augenarzt äußert den Verdacht auf eine psychosomatische Genese.

Ist der 11. von 13 Kindern und einer Halbschwester.

Kein Kontakt zur Familie, Erziehung sehr hart, entbehrungsreich.

Vater Seemann, sieben Jahre Kriegsgefangenschaft.

4

04.05.2012

Großmutter C. 61 Jahre?

Seit sieben Jahren chronischer Husten, Ängste, Schlafstörungen.

Leidet unter der Krankheit des Mannes, darunter, dass drei Töchter sich von den Eltern losgesagt haben.

Kennt eigenen Vater nicht, der 2010 verstorben ist.

Trennung der Eltern als Kleinkind.

Vom Stiefvater viel geschlagen.

5

26.09.2012

Enkelin J. 21 Jahre, Bäckereifachverkäuferin

Stress auf der Arbeit, geht häufig mit Bauchschmerzen zur Arbeit.

Psychisch kranker Chef beleidigt sie ständig.

J. hat 30 kg zugenommen – macht sich Sorgen um die Mutter und den Großvater.

Kennt Vater nicht, hat Kontakt einmal gesucht – Vater hat Tür zugeschlagen.

Die einzelnen Familienmitglieder stellten sich nacheinander, teilweise gemeinsam, in der psychosomatischen Sprechstunde vor. Im Verlaufe der diagnostischen Gespräche konnte ein generationsübergreifender Zusammenhang herausgearbeitet werden, bei dem die Großeltern – mit deren eigenen traumatischen Kindheit – maßgeblich an den Erkrankungen der Folgegeneration mitwirken. In Paar- und Familiengesprächen wurden Konflikte und Tabus angesprochen. Die älteste Generation konnte erstmals ihre Verantwortlichkeit erkennen und daraus einen eigenen Therapiewunsch formulieren. Zwischenzeitlich befinden sich die Großeltern in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung, die Mutter der Kinder begab sich in stationäre psychosomatische Behandlung, und die Kinder konnten merklich entlastet ihren schulischen Ausbildungsweg weiter fortsetzen.

Nur in der gültigen Weiterbildungsordnung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sind die Inhalte aufgeführt, die für die generationsübergreifender Behandlungen prädestinieren; auf allen Ebenen der medizinischen Versorgung (Psychosomatische Grundversorgung, Psychotherapie, Gebietsbezogene Psychotherapie wird Familienpsychosomatik praktiziert. Auch stationär wird Familienpsychosomatik bereits betrieben: in einigen Rehakliniken, ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen (12, 13) und in der Prävention. Hier sind die Autoren einiger Einrichtungen persönlich bekannt. Aber: Wie viele Fachärzte PSM sind tatsächlich kompetent für PSMKJ?

Trotz vielfältiger Initiativen für Familienpsychosomatik erfährt die Individualbehandlung immer noch den Vorzug. Eine psychosomatische Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Familien ist in Deutschland nicht in ausreichendem Maße gewährleistet.

Die Erkrankung von Kindern Jugendlichen und Familien ist für einen einzelnen Behandler oft überfordernd. Die komplexen Anforderungen an Diagnostik und Behandlung mehrerer Generationen erfordern das multiprofessionelle Team, in dem der Facharzt für Psychosomatische Medizin mit anderen Berufsgruppen kooperiert.

An dem Beispiel des Medizinischen Versorgungszentrums für körperliche und psychische Gesundheit Timmermann und Partner, Cuxhaven, lassen sich die Möglichkeiten der multiprofessionellen Zusammenarbeit gut demonstrieren. Hier arbeiten zusammen:

  • Ärzte verschiedener Fachgebiete (Psychosomatische Medizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie, Allgemeinmedizin)

  • Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten

  • Heilmittelerbringer (Ergo- und Physiotherapie, Logopädie) (14)

  • Sozial- und Heilpädagogen

  • Spezialtherapeuten (Musik, Kunst und andere)

  • Ernährungsberater (Ökotrophologe)

  • Medizinische Fachangestellte

In unserem nächsten Beitrag erhalten Sie Informationen über multiprofessionelle systemübergreifende Zusammenarbeit in der psychosomatischen Versorgung.